Sylke Wunderlich

Herausragendes Werk oder wie Duzen tatsächlich wirkt

Ich komme aus dem Inneren einer Industrie, die mit Emotionen und Informationen agiert und Menschen in der Absicht kontaktiert, sie vom Nutzen des eigenen Produktes zu überzeugen. Die Markenwerbung wurde in den USA gestartet und in Deutschland fand sie in Goebbels/Hitler konsequente Anwender. Wo Werbung tatsächlich begann und durch wen ist im Grunde sekundär, Tatsache ist, dass die Grundregeln auch heute noch fortbestehen und uns (oft) auf die Nerven gehen. Ewige Wiederholungen emotionaler Inhalte statt sachlicher Information, es geht heute fast jedem auf die Nerven, der durch Werbung unterbrochen wird oder ihr im öffentlichen Raum ausgesetzt ist.

Selbstverständlich finde ich Werbung gut und richtig, sie ist der Weg, um Produkte zu verkaufen und dem Prinzip von Marktwirtschaft zu entsprechen. Die Frage ist nur, wie sollte gute Werbung gestaltet sein. Darüber werden und wurden unzählige Bücher geschrieben und eines der besten in jüngster Zeit ist von Philip Kotler: Marketing 4.0.

In diesem wirklich herausragenden Buch von Sylke Wunderlich blicken wir in die Anfänge von massiver Kommunikation, die sich auf eine Vielzahl von Details richtet und auch die Logo-Entwicklung sowie die Typo zu Beginn mit einbezieht. Das Hakenkreuz war ein Glückssymbol der Ureinwohner Amerikas und auch in Asien, Afrika und vielen anderen Ländern präsent, auf Vasen abgebildet oder im Mosaik von Böden etc. Es wurde in der esoterischen, okkulten deutschen Völkischen Bewegung und der Thule Gesellschaft , der ab 1920 Hitler, Himmler und Göring beitraten, als Symbol benutzt und als Kennzeichen der „Arier“ verstanden. Tatsächlich hatte es einen hohen Wiedererkennungswert und war auch in kleinster Größe noch gut zu identifizieren.

Das 3. Reich anhand der Werbung aufzufächern, es ist ist spannend. Ich habe das Buch mit größtem Interesse gelesen und unglaublich viel gelernt. Noch nie gab es meines Wissens eine derartige Übersicht der Nazi-Kommunikation, in der die Autorin Sylke Wunderlich gekonnt die Fäden hinter den Dingen hervorzieht und z.B. erklärt, woher bestimmte Key Visuals abgeleitet und wie sie in unterschiedlichen Parteien eingesetzt wurden. Natürlich war Hitler in seinem Selbstverständnis auch der Größte aller Werbespezialisten und hat früh schon bestimmte Kernelemente z.B. von Plakaten definiert. Seine Tätigkeit als Postkartenmaler in Wien und München dürfte ihm ein gewisses Proportionen- und Layoutgefühl gegeben haben.

Die Plakate auf Seite 55 (Deutscher, bekunde Deine Wehfreudigkeit. Erwirb das SA-Sport-Abzeichen, Abb. Sportler) und 61 (Auch Du gehörst dem Führer, Abb. Mädchen) brachten mich auf das größte Werbedilemma der Jetzt-Zeit: Wir alle werden hemmungslos geduzt, für mich ein Zeichen der Respektlosigkeit und ein schwaches Kernmerkmal. Die hergestellte emotionale Nähe soll mir alle Entscheidungsbefugnis nehmen, mich vereinnahmen und kaltstellen. Ein Plakat auf Seite 69 zeigt dann das Ergebnis: Hitler im Hintergrund, den rechten Arm erhoben, vor einer anonymen Masse, die ihm den Arm entgegenstreckt. Text: Adolf Hitlers Jugend geht in die Gemeinschaftsschule.

Mich hat sowohl das Thema Gemeinschaftsschule als auch der angeschlagene Ton schlicht an sozialistische Gleichschaltung erinnert, die auch in den heutigen Tagen fröhliche Urstände feiert. Dabei nimmt das Duzen dem Adressaten einen erheblichen Teil seiner Souveränität und schränkt diese aufs Engste ein.… (mais)